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09 2002

Die Artikulation des Protestes

Hito Steyerl

Jede Artikulation ist eine Montage aus verschiedenen Elementen - Stimmen, Bildern, Farben, Leidenschaften oder Dogmen - innerhalb einer bestimmten Dauer in der Zeit und einer bestimmten Ausdehnung im Raum. Davon abhängig ist die Bedeutung der artikulierten Momente. Sie machen nur innerhalb dieser Artikulation und abhängig von ihrer Position Sinn. Wie also wird Protest artikuliert? Was artikuliert er, und was artikuliert ihn? español

Die Artikulation des Protestes hat zwei Ebenen: zum einen weist sie auf das Zur-Sprache-Bringen von Protest, die Vokalisierung, die Verbalisierung oder die Verbildlichung von politischem Protest hin. Zum Zweiten bezeichnet diese Begriffskombination aber auch die Gliederung oder interne Organisation von Protestbewegungen. Es geht also um zwei verschiedene Arten von Verkettungen verschiedener Elemente: einmal auf der Ebene der Symbole, das andere Mal auf der Ebene politischer Kräfte. Auf beiden entfaltet sich die Dynamik von Begehren und Verweigerung, Anziehung und Abstoßung, von Widerspruch und Verschmelzung verschiedener Elemente. In Bezug auf Protest meint die Frage nach der Artikulation also die Organisation seines Ausdrucks – aber auch den Ausdruck seiner Organisation.

Natürlich artikulieren sich Protestbewegungen auf vielen Ebenen: zum einen auf der Ebene ihrer Programme, Forderungen, Selbstverpflichtungen, Manifeste und Aktionen. Auch hier wird montiert – in Form inhaltlicher Ein- und Ausschließungen, von Prioritäten und blinden Flecken. Weiters sind Protestbewegungen aber auch als Verkettungen oder Verbindungen verschiedener Interessengruppen, NGOs, Parteien, Banden, Individuen oder Gruppen artikuliert. In dieser Gliederung artikulieren sich Allianzen, Koalitionen, Fraktionierungen, Fehden oder auch Gleichgültigkeit. Auch auf politischer Ebene gibt es also eine Form der Montage, eine Kombinatorik von Interessen, organisiert in einer sich immer wieder neu erfindenden Grammatik des Politischen. Auf dieser Ebene bezeichnet die Artikulation die Form interner Organisation von Protestbewegungen. Aber nach welchen Regeln ist diese Montage organisiert? Wen organisiert sie mit wem, durch wen und auf welche Weise?

Und was bedeutet das für globalisierungskritische Artikulationen – sowohl auf der Ebene der Organisation ihres Ausdrucks als auch auf der Ebene des Ausdrucks ihrer Organisation? Wie werden globale Zusammenhänge dargestellt? Wie werden verschiedene Protestbewegungen miteinander vermittelt? Werden sie nebeneinander gestellt, also einfach miteinander addiert, oder anderweitig miteinander in Beziehung gesetzt? Was ist das Bild einer Protestbewegung? Sind es die addierten Köpfe von Sprechern und Sprecherinnen einzelner Gruppen? Sind es die Bilder von Auseinandersetzungen und Aufmärschen? Sind es neue Formen der Darstellung? Ist es die Reflektion der Formen einer Protestbewegung? Oder die Erfindung neuer Verhältnisse zwischen einzelnen Elementen politischer Verkettungen? Ich beziehe mich mit diesen Überlegungen über Artikulation auf ein ganz bestimmtes Theoriefeld, nämlich die Theorie der Montage bzw. des Filmschnitts. Dies auch, weil das Zusammendenken von Kunst und Politik meist auf dem Feld politischer Theorie abgehandelt wird und Kunst oft als deren Ornament erscheint. Was aber passiert, wenn wir umgekehrt eine Reflektion über eine künstlerische Produktionsweise, nämlich die Theorie der Montage, auf das Feld der Politik beziehen? Wie also wird das politische Feld montiert und welche politischen Bedeutungen lassen sich aus dieser Form der Artikulation ableiten?

 

Fertigungsketten

Ich möchte diese Fragestellungen anhand zweier Filmausschnitte diskutieren – und von der Form ihrer Artikulation her auf ihr implizites oder explizites politisches Denken zu sprechen kommen. Die Filme werden unter einem ganz spezifischen Gesichtspunkt verglichen: Beide enthalten eine Sequenz, in der die Bedingungen ihrer eigenen Artikulation thematisiert werden. In diesen Sequenzen werden die Fertigungsketten und Produktionsabläufe vorgestellt, durch die diese Filme hergestellt werden. Und anhand dieser selbstreflexiven Thematisierung der Produktionsweisen von politischen Bedeutungen, der Erzeugung von Ketten und Montagen ästhetischer Formen und politischer Forderungen, möchte ich die politischen Implikationen von Formen der Montage erläutern.

Der erste Ausschnitt stammt aus dem Film Showdown in Seattle, produziert 1999 vom Independent Media Center Seattle, ausgestrahlt von Deep Dish Television. Der zweite Ausschnitt stammt aus einem Film von Godard/Mieville aus dem Jahre 1975 mit dem Namen Ici et ailleurs. Beide behandeln trans- bzw. internationale Verhältnisse politischer Artikulation: Showdown in Seattle dokumentiert die Proteste gegen die Verhandlungen der WTO in Seattle sowie die interne Artikulation dieser Proteste als heterogene Kombination diverser Interessen. Ici et ailleurs´ Thema sind hingegen die Irrungen französischer Palästina-Solidarität der 70er Jahre im Besonderen, und eine radikale Kritik der Posen, Inszenierungen und kontraproduktiven Verkettungen der Emanzipation im Allgemeinen. Beide Filme sind als solche eigentlich nicht vergleichbar – der erste ist ein schnell produziertes Gebrauchsdokument, das im Register der Gegeninformation funktioniert. Ici et ailleurs hingegen spiegelt einen langen und auch peinlichen Reflektionsprozess wider. Information steht dort nicht im Vordergrund, sondern eher die Analyse ihrer Organisation und Inszenierung. Der Vergleich beider Filme ist also nicht als Aussage über die Filme an sich zu lesen, sondern beleuchtet nur einen bestimmten Aspekt, nämlich ihre Selbstreflexion über ihre je eigenen Formen der Artikulation.

 

Showdown in Seattle

Der Film Showdown in Seattle ist eine leidenschaftliche Dokumentation der Proteste rund um das WTO Treffen 1999 in Seattle.[1] In chronologischer Form werden die Tage des Protestes und ihre Ereignisse montiert. Dabei werden die Entwicklungen auf der Straße mit Hintergrundinformationen über die Arbeit der WTO grundiert. Zu Wort kommen in zahlreichen kurzen Statements eine Vielzahl von Sprechern und Sprecherinnen verschiedenster politischer Gruppen, vor allem Gewerkschaften, aber auch Indigenenbewegungen oder Bauernorganisationen. Der Film (der aus fünf halbstündigen Einzelteilen besteht) ist außerordentlich mitreißend und im Stile einer konventionellen Reportage gehalten. Damit einher geht eine Vorstellung filmischer Raumzeit, die mit Benjamin als homogen und leer beschrieben werden könnte, organisiert durch chronologische Abläufe und einheitliche Räume.

Gegen Ende der zweieinhalbstündigen Filmserie findet sich auch ein Abschnitt, auf dem die Zuseher auf eine Tour durch die Produktionsstätte des Filmes, also das in Seattle aufgebaute Studio geführt werden. Was wir sehen, ist beeindruckend. Der ganze Film wurde während der Dauer der Proteste gedreht und geschnitten. Jeden Abend wurde eine halbe Stunde Programm ausgestrahlt. Dies erfordert einen erheblichen logistischen Aufwand, und dementsprechend sieht die interne Organisation des Indymediabüros nicht prinzipiell anders aus als die eines kommerziellen Fernsehsenders. Wir sehen, wie die Bilder von zahllosen Videokameras ins Studio kommen, wie sie gesichtet werden, wie brauchbare Stellen exzerpiert werden, wie sie in einem weiteren Schnitt montiert werden, usw. Verschiedene Medien werden aufgezählt, auf denen und durch die veröffentlicht wird, wie Fax, Telefon, WWW, Satellit etc. Wir sehen, wie die Arbeit der Organisation von Informationen, also Bildern und Tönen bewerkstelligt wird: es gibt ein video desk, Produktionspläne etc. Was präsentiert wird, ist die Darstellung einer Fertigungskette von Information, genauer gesagt in der Definition der Produzenten: Gegeninformationen, die negativ durch ihren Abstand zu den Informationen – der für ihre Einseitigkeit kritisierten Corporate Media – bestimmt werden. Es handelt sich also um eine spiegelverkehrte Replika konventioneller Informations- und Repräsentationsproduktion mit allen ihren Hierarchien, um einen detailgetreuen Nachbau der Produktionsweisen von Corporate Media – nur anscheinend zu einem anderen Zweck.

Dieser andere Zweck wird mit vielen Metaphern beschrieben: get the word across, get the message across, getting the truth out, getting images out. Was verbreitet werden soll, sind Gegeninformationen, die als Wahrheit beschrieben werden. Die ultimative Instanz, die dabei beschworen wird, ist die Stimme des Volkes, the voice of the people, und dieser Stimme soll Gehör verschafft werden. Sie wird als Einheit des Verschiedenen, also verschiedener politischer Gruppen, gedacht und ertönt innerhalb des Resonanzkörpers einer filmischen Raumzeit, deren Homogenität nie in Frage gestellt wird.

Aber wir müssen uns nicht nur fragen, wie diese Stimme des Volkes artikuliert und organisiert ist, sondern auch, was diese Stimme des Volkes überhaupt sein soll. In Showdown in Seattle wird dieser Ausdruck ohne jede Problematisierung angewendet: als Addition von Stimmen einzelner Sprecherinnen von Protestgruppen, NGOs, Gewerkschaften usw. Deren Forderungen und Positionen werden auf weiten Strecken des Filmes artikuliert – in der Form von talking heads. Deren Positionen werden durch formal gleiche Einstellungen standardisiert und somit vergleichbar gemacht. Auf der Ebene standardisierter konventioneller Formsprache verwandeln sich die verschiedenen Statements somit in eine Kette formaler Äquivalenzen, die die politischen Forderungen genauso aneinander addiert, wie in der medialen Fertigungskette Bilder und Töne in konventionellen Montageketten aneinander gereiht werden. Die Form ist somit ganz analog der Formensprache der kritisierten Corporate Media, nur der Inhalt ist anders, nämlich eine additive Kompilation von Stimmen, die zusammengenommen: the voice of the people, "die Stimme des Volkes", ergeben. Wenn alle diese Artikulationen addiert werden, kommt nach dieser Rechnung hinten "die Stimme des Volkes" heraus – ungeachtet der Tatsache, dass die verschiedenen Forderungen einander politisch teilweise radikal widersprechen, etwa die von Umweltschützern und Gewerkschaften, verschiedenen Minderheiten, feministischen Gruppen etc., und überhaupt nicht klar ist, wie diese Forderungen denn miteinander vermittelt werden könnten. Was anstelle dieser fehlenden Vermittlung steht, ist hingegen eine bloße filmische und politische Addition – von Einstellungen, Statements und Positionen – und eine ästhetische Form der Verkettung, die die Prinzipien ihrer Organisation unhinterfragt vom Gegner übernimmt.[2]

Im zweiten Film hingegen wird diese Methode der bloßen Addition von Forderungen, die zusammengenommen "die Stimme des Volkes" ergibt, streng kritisiert – mitsamt des Konzeptes der Stimme des Volkes schlechthin.

 

Ici et Ailleurs

Die Regisseure, oder vielmehr Monteure des Films Ici et Ailleurs[3], Godard und Mieville, verhalten sich radikal kritisch gegenüber den Begriffen des Populären. Ihr Film besteht aus einer Selbstkritik eines selbsterstellten Filmfragments. Das Kollektiv Dziga Vertov (Godard/Morin) hat 1970 einen Auftragsfilm über die PLO gedreht. Der heroisierende Propagandafilm, der vom Volkskampf schwadronierte, hieß "Bis zum Sieg" und ist nie fertiggestellt worden. Er bestand aus mehreren Teilen, die Titel trugen wie: der bewaffnete Kampf, die politische Arbeit, der Wille des Volkes, der verlängerte Krieg – bis zum Sieg. Gezeigt wurden Kampftraining, Turn- und Schießszenen sowie Agitationsszenen der PLO, formal in einer nahezu besinnungslosen Kette von Äquivalenzen, in der jedes Bild, wie sich später herausstellen wird, mit Gewalt in die antiimperialistische Phantasie gepresst wird. Vier Jahre später nehmen Godard und Mieville das Material noch einmal genau unter die Lupe. Sie stellen fest, dass Teile der Aussagen der PLO-Anhänger nie übersetzt wurden bzw. von vornherein gestellt waren. Sie reflektieren die Inszenierungen und die blanken Lügen des Materials – vor allem aber ihre eigene Mitwirkung daran bezüglich der Art, in der sie die Bilder und Töne organisiert haben. Sie fragen: wie funktionierte dabei die beschwörende Formel von der "Stimme des Volkes" als populistischer Lärm zur Beseitigung der Widersprüche? Welche Bilder wurden dadurch zusammengezwungen? Welcher Ton zu welchem Bild? Was bedeutet es, zu jedem beliebigen Bild die Internationale zu montieren, etwa in der Art, wie Schmalz auf ein Brot geschmiert wird? Welche politischen und ästhetischen Vorstellungen werden unter dem Vorwand der "Stimme des Volkes" zusammenaddiert? Warum ist diese Rechnung nicht aufgegangen? Generell gelangen Godard/ Mieville zu dem Schluss: das additive "Und" der Montage, mit dem sie ein Bild an ein anderes schneiden, ist kein unschuldiges und erst recht kein unproblematisches.

Der Film ist heute erschreckend aktuell, aber nicht in dem Sinne, dass er irgendwelche Positionierungen im Nahostkonflikt anbietet, sondern im Gegenteil dadurch, dass er die Begriffe und Schablonen problematisiert, in denen Konflikte und Solidaritäten auf binäre Oppositionen von Verrat oder Loyalität verkürzt und auf unproblematische Additionen und Pseudokausalitäten reduziert werden. Was nämlich, wenn das Modell der Addition nicht stimmt? Oder das verbindende "Und" gar keine Addition darstellt, sondern eine Subtraktion, eine Division oder gar kein Verhältnis begründet? Was, wenn nämlich das "Und" in diesem "Hier und Woanders", in diesem Frankreich und Palästina keine Addition darstellt, sondern eine Subtraktion?[4] Was wenn zwei politische Bewegungen sich nicht nur nicht verbinden, sondern behindern, widersprechen, ausblenden, oder gar gegenseitig ausschließen? Was, wenn es statt "Und" "Oder" heißen muss, oder "Weil" oder "Anstatt". Und was heißt dann noch eine Floskel wie: der "Wille des Volkes"?

Auf die politische Ebene übertragen lautet die Frage somit: Auf welcher Basis können wir überhaupt politische Vergleiche zwischen verschiedene Positionen ziehen, bzw. Äquivalenzen oder gar Allianzen etablieren? Was wird überhaupt vergleichbar gemacht? Was wird addiert, was wird zusammengeschnitten, und welche Unterschiede und Gegensätze werden zugunsten der Etablierung einer Kette von Äquivalenzen nivelliert? Was, wenn dieses "Und" der politischen Montage funktionalisiert wird, nämlich zu Gunsten einer populistischen Mobilisierung? Und was bedeutet diese Frage für die heutige Artikulation des Protestes, wenn sich auf den Antiglobalisierungsdemos Nationalisten, Protektionisten, Antisemiten, Verschwörungstheoretiker, Nazis, Religiöse und Reaktionäre problemlos in die Kette der Äquivalenzen einreihen? Gilt hier einfach das Prinzip unproblematischer Addition, ein blindes Und, das davon ausgeht, dass bei ausreichender Verrechnung verschiedener Interessen hinten schon irgendwann das Volk rauskommt?

Godard und Mieville beziehen ihre Kritik aber eben nicht nur auf die Ebene politischer Artikulation, also den Ausdruck der internen Organisation, sondern eben auch auf die Organisation ihres Ausdrucks. Diese steht mit jenem in engem Zusammenhang. In der Art, wie die Bilder und Töne organisiert, montiert und angeordnet werden, liegt ein wesentlicher Bestandteil dieser Problematik. Eine fordistische, nach den Prinzipien der Massenkultur organisierte Artikulation wird die Schablonen ihrer Herrschaft blind reproduzieren, so ihre These; daher muss sie durchkreuzt und problematisiert werden. Daher beschäftigen sich auch Godard/Mieville mit der Fertigungskette von Bildern und Tönen, wählen aber im Vergleich zu indymedia eine ganz andere Szene – sie zeigen eine Anzahl von Menschen mit Bildern in der Hand, die an einer Kamera vorbeiwandern wie auf einem Fliessband und sich dabei gegenseitig verdrängen. Eine Reihe von Menschen, die Bilder des "Kampfes" vor sich hertragen, wird maschinell, in der Logik von Fließband und Kamera-Mechanik miteinander verkettet. Godard/Mieville übersetzen die zeitliche Anordnung der Filmbilder hierbei in eine räumliche Anordnung. Was hierbei sichtbar wird, sind Ketten von Bildern, die nicht hintereinander ablaufen, sondern gleichzeitig gezeigt werden. Sie stellen die Bilder nebeneinander und rücken ihre Rahmung in den Fokus der Aufmerksamkeit. Offen gelegt wird hier das Prinzip ihrer Verkettung. Was in der Montage als oftmals unsichtbare Addition erscheint, wird hier problematisiert und mit der Logik maschineller Produktion in ein Verhältnis gesetzt. Durch diese Reflektion der Fertigungskette von Bildern und Tönen wird in dieser Sequenz über die Bedingungen der Repräsentation auf Film überhaupt nachgedacht. Die Montage entsteht innerhalb eines industriellen Systems von Bildern und Tönen, deren Verkettung schon im Vorhinein organisiert ist – so wie das Prinzip der Produktionssequenz von Showdown in Seattle durch ihre Übernahme konventioneller Schemata der Produktion geprägt ist.

Godard/Mieville hingegen fragen: Wie hängen die Bilder an der Kette, wie werden sie verkettet, was organisiert deren Artikulation, und welche politischen Bedeutungen werden dadurch generiert? Wir sehen hier eine experimentelle Situation der Verkettung, in der Bilder relational organisiert werden. Wild werden Bilder und Töne aus Nazideutschland, Palästina, Lateinamerika, Vietnam und anderen Orten durcheinandergemischt – und mit einer Anzahl von Volksliedern bzw. Liedern, die das Volk beschwören, aus rechten und linken Kontexten addiert. Zum Ersten, das ist evident, ergibt sich der Eindruck, dass natürlich die Bilder ihre Bedeutung abhängig von ihrer Verkettung erlangen. Aber das Zweite ist viel wichtiger – dass unmögliche Verkettungen entstehen: Bilder vom Konzentrationslager und Venceremoslieder, Hitlerstimme und My Lai Bild, Hitlerstimme und Golda Meir Bild, My Lai und Lenin. Es wird klar, dass die Basis dieser Stimme des Volkes, die wir in ihren verschiedenen Artikulationen hören, und auf deren Ebene das Experiment der Darstellung passiert, eben keine Basis ist, um Äquivalenzen zu schaffen, sondern im Gegenteil jene radikalen politischen Widersprüche aufwirft, die sie zu kaschieren bemüht ist. Sie erzeugt schroffe Diskrepanzen, innerhalb des – wie Adorno sagen würde – stummen Zwangs der Identitätsbeziehung. Sie bewirkt Entgegensetzungen statt Gleichsetzungen und jenseits der Entgegensetzungen sogar blankes Entsetzen – alles Mögliche, nur keine problemlose Addition politischer Begehren. Denn was diese populistische Kette der Äquivalenzen an diesem Punkt hauptsächlich anzeigt, ist die Leere, um die herum sie strukturiert ist, das leere inklusivistische UND, das jenseits aller politischen Kriterien blind vor sich hin addiert.

Zusammenfassend können wir sagen, dass das Prinzip der Stimme des Volkes in beiden Filmen eine ganz andere Rolle einnimmt. Im Film über Seattle ist sie zwar das organisierende Prinzip, dasjenige, das den Blick konstituiert, selber aber nicht problematisiert wird. Die Stimme des Volks funktioniert darin wie ein blinder Fleck, eine Leerstelle, die, so Lacan, das gesamte Feld des Sichtbaren konstituiert, aber selbst nur als eine Art Verdeckung sichtbar wird. Sie organisiert die Kette der Äquivalenzen, ohne Brüche zuzulassen, und verdeckt, dass ihr politisches Ziel nicht über eine unhinterfragte Vorstellung von Inklusivität hinausgeht. Die Stimme des Volkes ist somit gleichzeitig das organisierende Prinzip einer Verkettung, als auch eine Ausblendung. Was aber blendet sie aus? Im zugespitzten Fall können wir formulieren, dass der leere Topos der Stimme des Volkes überhaupt nur eine Leerstelle verdeckt, nämlich die Leerstelle der Frage nach den politischen Maßstäben und Zielen, die durch die Anrufung des Volkes legitimiert werden sollen.

Wie steht es also um die Artikulation einer Protestbewegung, die sich nach dem Modell eines "Und" zusammensetzt – als sei Inklusion um jeden Preis ihr maßgebliches politisches Ziel? In Bezug worauf ist die politische Verkettung organisiert? Wozu eigentlich? Welche Ziele und Kriterien müssen formuliert werden – auch wenn sie vielleicht nicht so populär sind? Und muss dazu nicht eine viel radikalere Kritik der Artikulation von Ideologie mittels Bildern und Tönen erfolgen? Bedeutet eine konventionelle Form nicht eine mimetische Anschmiegung an die Verhältnisse, deren Kritik zu leisten wäre? Eine populistische Form nicht einen blinden Glauben an die Kraft der Addition beliebiger Begehren? Ist es somit nicht manchmal besser, die Kette zu sprengen, als um jeden Preis alle mit allem zu vernetzen?

 

Addition oder Potenzierung?

Was also macht eine Bewegung zu einer oppositionellen? Denn viele Bewegungen, die sich Protestbewegungen nennen, sind zumindest als reaktionär, wenn nicht rundheraus als faschistisch zu bezeichnen, oder inkludieren problemlos solche Elemente. Dabei handelt es sich um Bewegungen, in denen sich das Bestehende in atemloser Überschreitung radikalisiert und in seinem Kielwasser fragmentierte Identitäten wie Knochensplitter hinter sich verstreut. Bruchlos geht die Energie der Bewegung von einem Element zum anderen über – die homogene leere Zeit durchquerend, wie eine Welle, die durch eine Menge geht. Bilder, Töne und Positionen verketten sich reflektionslos in der Bewegung blinder Inklusion. In diesen Figuren wird eine ungeheure Dynamik entfaltet – um alles beim Alten zu belassen.

Welche Bewegung der politischen Montage ergibt also überhaupt eine oppositionelle Artikulation – anstatt einer bloßen Addition von Elementen zu Gunsten der Reproduktion des Bestehenden? Oder anders gefragt: welche Montage zwischen zwei Bildern/Elementen ließe sich vorstellen, die zwischen und abseits dieser beiden ein Anderes entstehen lässt, das keinen Kompromiss darstellt, sondern einer anderen Ordnung angehört- in etwa wie wenn jemand beharrlich zwei stumpfe Steine aneinanderklopfend einen Funken aus dem Dunklen schlägt? Ob dieser Funken, den man auch den Funken des Politischen nennen kann, entstehen soll, ist eine Frage jener Artikulation.

Dank an Peter Grabher / kinoki für den Hinweis auf die Filme.



[1] Showdown in Seattle, Deep Dish Television. USA 1999. 150 min.

[2] Hier soll nicht impliziert werden, dass es irgendeinen Film gibt, der die Arbeit dieser Vermittlung übernehmen könnte. Ein Film könnte aber darauf insistieren, dass diese nicht durch simple Beschwörungen ersetzt werden kann.

[3] Ici et Ailleurs, Jean-LucGodard, Anne-Marie Mieville, F 1975. 52min.

[4] Und was heißt jetzt „Hier und Woanders“, wenn in Frankreich Synagogen brennen?