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10 2003
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What's wrong with "cultural diversity"?

Therese Kaufmann

Therese Kaufmann

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Auf EU-Ebene klafft eine bemerkenswerte Lücke zwischen dem, was im kulturellen Feld passiert und den vorhandenen kulturpolitischen Ansätzen. Kulturpolitik ist in der EU ein marginales Thema geblieben, die rechtlichen und administrativen Voraussetzungen gehen oft schlicht an der Realität vorbei, von den finanziellen Möglichkeiten ganz zu schweigen. Weder in Hinblick auf die bevorstehende Erweiterung geschweige denn für eine längerfristige Perspektive kann von einem kohärenten kulturpolitischen Konzept gesprochen werden. Den wenigen Gelegenheiten für eine kulturpolitische Auseinandersetzung - im Zusammenhang mit dem Reformprozess der EU ebenso wie den globalen politischen und sozialen Entwicklungen - scheint es aber auch an einer geeigneten, zeitgemäßen Sprache für kritische und zukunftsorientierte Debatten mit experimentellen Ansätzen und Ideen zu fehlen.

Der aktuelle Reformprozess der EU anlässlich der bevorstehenden Erweiterung bedarf dringend einer Neudefinition ihrer Strukturen, Ziele und Strategien auf allen Ebenen. Die öffentliche Debatte darüber wurde aufgrund fehlender Öffentlichkeiten in Europa eher schleppend geführt. Gerade hier muss aber die von Stefan Nowotny erörterte Frage, ob Kulturpolitik ein Teil von Demokratiepolitik ist, nicht nur anders gestellt, sondern vor allem weiter getrieben werden: Wenn die Europäische Union als ein Projekt verstanden wird, an dessen demokratischer Entwicklung und Vertiefung gearbeitet werden muss, wie kann dieses Projekt ohne kulturpolitischen Ansatz verfolgt werden? Kulturpolitische Ansätze - die per se ebenso wenig demokratisch sein müssen wie Kultur "gut" ist - sind allerdings mit einer Reihe wesentlicher demokratiepolitischer Fragestellungen verknüpft, sei es Themen wie Zugang und Partizipation, (Staats)BürgerInnenschaft und die damit verbundenen Rechte, Migration, Gender, die Schaffung von Öffentlichkeiten, oder aber die Auseinandersetzung mit "Differenz" als Gegenstrategie zu Diskriminierung, Rassismus und Exklusion. Das kulturelle Feld kann (partielle) Öffentlichkeiten für die kritische Diskussion schaffen, in ihm lassen sich experimentelle Konzepte entwickeln und erproben.

Was passiert aber stattdessen? Schier unvermeidlich scheinen wir in einer Endlosschleife von Wiederholungen Jean Monnets Aussage über "die Kultur" als Ursprung und Essenz der Europäischen Union ausgesetzt, ungeachtet dessen, dass sich mittlerweile nachweisen lässt, dass er diese leere Phrase so niemals so von sich gegeben hat. Aber in der vagen Beschwörung als das die EuropäerInnen zusammenschweißende Element der "Kultur" lässt sich eine ernsthafte Diskussion über kulturpolitische Zusammenhänge allerdings trefflich vermeiden.

Mittlerweile herumgesprochen hat sich aber sehr wohl, dass das kulturelle Feld einen nicht zu vernachlässigenden ökonomischen Faktor darstellt, man denke nur an die so genannten Cultural oder Creative Industries. Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich auf dieser Ebene etwas bewegt und das Europäische Parlament beispielsweise in diesem Jahr einen Bericht veröffentlichte, in dem es die EU zu einer Kulturpolitik auffordert, die die ökonomischen Bedingungen für die Entwicklung eines europäischen kulturellen Modells mit besonderem Schwerpunkt auf Beschäftigung, Tourismus und neue Technologien schafft. Wird dieses "Modell" ausschließlich auf ökonomischen Aspekten begründet, während kulturpolitische Ansätze aufgrund der Bestimmungen des Subsidiaritätsprinzips ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten bleiben soll? Während sich die Union nach und nach in Richtung eines politischen Projekts bewegt, bleibt Kulturpolitik nach wie vor ausgespart?

Doch, es gibt ein quasi-kulturpolitisches Thema, das nicht nur die zentrale Zielsetzung des derzeitigen "Kulturartikels" in den europäischen Verträgen repräsentiert (und so weit der aktuelle Verfassungsentwurf beibehalten bleibt, das auch in Zukunft tun wird), sondern auch erfolgreich jede tiefergehende Diskussion abzuwürgen in der Lage ist. Es scheint auch sogar das genannte Jean-Monnet-Zitat in der üblichen Phrasendrescherei rund um "Kultur" und "Europa" abzulösen: "kulturelle Vielfalt".

Der Kulturwissenschaftler Tony Bennet hatte in einer Studie mit dem Titel "Differing diversities" (2001) für den nationalen Kontext angemerkt, dass "kulturelle Vielfalt" in all ihren Erscheinungsformen eine grundlegende Herausforderung für die traditionellen Formulierungen der Kulturpolitik darstelle und der Wechsel von Homogenität zu Diversität als neue soziale Norm auch eine Neubetrachtung der Prozesse, Mechanismen und Verhältnisse, die für die demokratische Politikentwicklung in vielfältigen Gesellschaften notwendig sind, erfordert. Auf europäischer Ebene scheint das Konzept paradoxerweise das genaue Gegenteil zu implizieren. Wenn man sich die aktuellen Diskurse genauer ansieht, figuriert "Kultur" als Synonym für "Identität", welche wiederum meist an die territoriale Einheit einer Nation oder Region gebunden scheint. Der Begriff der "Vielfalt" bedeutet hier nichts anderes als die Gleichheit oder Gleichberechtigtheit dieser "Kulturen" oder "Identitäten" in ihrer Einzigartigkeit oder Authentiziät. Er basiert aber auch auf der Annahme, dass ihre Konturen und die Grenzen zwischen diesen "Kulturen" und "Identitäten" leicht zu spezifizieren sind.

Im Grunde bleibt dies ein statisches Konzept, das uns weniger auf aktuelle kulturwissenschaftliche oder philosophische Ansätze verweist, als vielmehr beispielsweise an den deutschen Romantiker J. G. Herder und seinen Vorschlag erinnert, den Begriff der "Kultur" im Sinne fixierter, von einander unterscheidbaren Einheiten, die sich auf innerer Homogenität begründen und in sich kongruent und autonom sind, zu pluralisieren. Ist der gesamte kulturpolitische Diskurs über die "Vielfalt der Kulturen", die es zu erhalten und zu schützen gilt, wie vielerorts propagiert wird, im Grunde noch immer in Vorstellungen des 19. Jahrhunderts über einzelne, einheitliche und geschichtlich klar verortbare kulturelle Gemeinschaften verankert? Ein ernüchterndes Resümee, vor allem angesichts der Tatsache, dass ein solcherart quasi-anthropologisches Verständnis kultureller "Ganzheit" auch immer mit Ausschließungsmechanismen aufgrund der Konstruktion des "Anderen" zusammen hängt, wofür nicht nur die Geschichte von Kolonialismus, Antisemitismus, Rassismus und "Orientalismus" Beispiele liefern. Ganz "aktuell" verwendet hingegen scheint sich die "kulturelle Vielfalt" offensichtlich auch hervorragend für eine protektionistische Argumentationslinie zur Sicherung nationaler Kulturindustrien oder als Marketing-Tool in der Bewerbung der Authentizität von Ländern oder Regionen im globalen Wettbewerb zu eignen.

Das ist auch der Grund, warum "unity in diversity" bestenfalls ein wohlgemeinter Slogan, kein zukunftsweisendes Konzept sein kann, wenn es sich, wie durch die aktuellen kulturpolitischen Gegebenheiten in der EU vorgegeben, um ein rein additives, statisches Prinzip handelt. Die "Einheit", die der "Vielfalt" hier einen Rahmen bieten soll, kreiert selbst wieder ein Anderes und Äußeres, gegen das es Grenzen zu errichten gilt. Es bleibt die Frage, ob sich innerhalb der EU und auch über sie hinaus ein Diskurs entwickeln lässt, der sich der Herausforderung kultureller Differenz als dynamisches, ständig neu zu verhandelndes Prinzip stellt. Dazu gehört ein Konzept von Kulturpolitik, das als zeitgemäßes, transversales Projekt den sozialen und demographischen Realitäten in Europa entspricht, gegen Diskriminierung und Marginalisierung kämpft und ein Denken von Kultur "jenseits des Heterogenen wie des Eigenen" (Adorno) unterstützt.


Der Text war ein Diskussionsbeitrag bei der Konferenz "More Europe. Foreign Cultural Policies in and beyond Europe" in Warschau, die im Oktober 2003 vom österreichischen kulturforum warschau (ökfw) und dem Adam Mickiewicz Institut organisiert wurde.